Krankheiten und Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems verursachen gut ein Fünftel aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland. Sie gehören auch zu den häufigsten anerkannten Berufskrankheiten. Zielgerichtete Prävention derartiger Gesundheitsprobleme setzt voraus, dass sich die zugrundeliegenden körperlichen Belastungen genau erfassen und beurteilen lassen.
Zwischen 2013 und 2020 kooperierten Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) im Projekt "Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz“ (MEGAPHYS). Ziel der Forschung war ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes, harmonisiertes Methodeninventar für die betriebliche Gefährdungsbeurteilung bei physischen Belastungen: bei manueller Lastenhandhabung, repetitiven Arbeitsprozessen, kraftbetonten Tätigkeiten, Zwangshaltungen und bewegungsintensiven Aufgaben sowie bei kombinierten Belastungen im Falle von Mischarbeit.
Die Forschungsarbeiten erfolgten im Verbund mit Fachleuten aus den Bereichen Arbeitswissenschaft, Arbeitsmedizin, Biomechanik, Ergonomie und Arbeitsphysiologie. Beteiligt waren neben dem IFA und der BAuA folgende Partner:
Gefördert wurde das Projekt von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der BAuA.
Das Gemeinschaftsvorhaben gliederte sich in sieben Arbeitspakete (AP): Als Grundlage für die Untersuchungen dienten eine Literaturrecherche zu vorhandenen Analyse-, Bewertungs- und Beurteilungsverfahren (AP 1) sowie eine Zustandsanalyse des Vorkommens physischer Belastungen in der Arbeitswelt (AP 2). Darauf aufbauend wurden Vorentwürfe für Bewertungsmodelle zu unterschiedlichen Risikofaktoren (z. B. Heben oder Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten, Repetition, Kraftaufwendung, Körperhaltungen, Körperbewegung), Zielregionen (z. B. Rücken, obere und untere Extremitäten), Zielgruppen (z. B. Unternehmer, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Wissenschaftler) und Komplexitätsgrade (z. B. einfaches Screening, messtechnische Analyse) abgeleitet (AP 3). Im AP 4 erprobten in der Praxis verschiedene Anwendergruppen (z. B. Sicherheitsfachkraft, Meister) die Methodenvorentwürfe, die anschließend nochmals angepasst (AP5) und schließlich in einer umfangreichen Querschnittstudie evaluiert (AP 6) wurden. Hierzu gab es arbeitswissenschaftliche Analysen und Bewertungen der Belastungssituation an etwa 200 Arbeitsplätzen mithilfe des entwickelten Methodeninventars. Parallel wurden an den Arbeitsplätzen mehr als 800 Beschäftigte zur Belastungs- und Beschwerdesituation befragt; medizinisches Personal untersuchte außerdem die Muskel-Skelett-Gesundheit der Befragten. Abschließend wurden die Ergebnisse zusammengefasst, dokumentiert und gewertet (AP 7).
Das IFA war an allen Arbeitspaketen außer AP 2 maßgeblich beteiligt und übernahm zusammen mit der BAuA die Organisation des Projekts und die Koordination der Forschungspartner.
Der Fokus der Methodenentwicklung lag für das IFA auf der messtechnischen Analyse von Belastungsdaten mit dem IFA-eigenen CUELA-Messsystem. Das IFA erarbeitete und evaluierte Bewertungsalgorithmen für messtechnisch ermittelte Muskel-Skelett-Belastungsdaten. Die Algorithmen basieren auf der biomechanischen Analyse von Bewegungen und Kräften und der leistungsphysiologischen Betrachtung von Anpassungsreaktionen des Körpers auf die Belastung. So liegen nun insgesamt 28 Bewertungsverfahren für verschiedene Körperregionen, vom Nacken bis zum Knie, sowie für das Herz-Kreislauf-System, vor.
Das IAD überarbeitete bestehende Experten-Screening-Instrumente mit dem Ziel einer breiteren Anwendbarkeit, erprobte und evaluierte sie in der Praxis. Dabei integrierte das IAD beispielsweise weitere Belastungsarten (Körperfortbewegung), ergänzte die Bewertung von heterogenen Last- bzw. Kraftfällen und setzte diese in rechnergestützte Tools um ("Megaphys-MonKras", "Megaphys-MultipLa"). Die so entstandenen Methoden sind auf der IAD-Website verfügbar.
Mit Blick auf Labormessungen und -simulationen entwickelte das IfADo Methoden und Werkzeuge so weiter, dass den biomechanischen Auswirkungen physischer Belastungen auf das Muskel-Skelett-System und insbesondere auf die Wirbelsäule besser Rechnung getragen wird. Besonders hervorzuheben ist die Kopplung des Systems Der Dortmunder (räumlich-dynamisches biomechanisches Modell zur Quantifizierung der Lumbalbelastung für einzelne Aktionen) mit dem IFA-Messsystem CUELA, außerdem die Weiterentwicklung eines Lumbalbelastungsatlas, die Definition geeigneter Kenngrößen und Bewertungskriterien der situativen und kumulativen Rückenbelastung, die lumbal-biomechanische Evaluation von Screening-Werkzeugen (LMM, EAWS) sowie die Ableitung der Revidierten Dortmunder Richtwerte.
Der von der DGUV herausgegebene Projektbericht Band 2 beschreibt alle Neu- und Weiterentwicklungen und Evaluationen der Methoden des Experten-Screenings, der Messtechnischen Analyse und der Labormessungen/-simulation. Darüber hinaus behandelt Band 2 die paarweisen Vergleiche der Belastungsbewertungen der in der MEGAPHYS-Feldstudie eingesetzten Methoden (Spezielles Screening, Experten-Screening und Messtechnische Analyse).
Im von der BAuA herausgegebenen Band 1 des Projektberichtes sind die Ausgangssituation und alle im Projekt eingesetzten Methoden beschrieben. Dazu gehört eine Zustandsanalyse physischer Belastungen in Deutschland und das gemeinsame Konzept zur Schätzung des Risikos für gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zudem präsentiert Band 1 die Neu- und Weiterentwicklungen und Evaluierung der Methoden des Speziellen Screenings.
Als Ergebnis des Gemeinschaftsprojekts MEGAPHYS steht dem präventiven Arbeitsschutz ein abgestimmtes Paket von in Feld und Labor erprobten und evaluierten Instrumenten zur Gefährdungsbeurteilung bei physischer Belastung zur Verfügung. Die unterschiedlichen Detaillierungsgrade der neu- und weiterentwickelten Methoden gewährleisten, dass den unterschiedlichen Erfordernissen der Praxis hinsichtlich Genauigkeit und Komplexität der Belastungsanalyse entsprochen wird.
Arbeitssysteme der Zukunft
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