Messtechnische Charakterisierung von Schießlärm und Vergleich verschiedener Beurteilungsverfahren zur Gehörgefährdung und Gehörschützerauswahl

Projekt-Nr. IFA 4229

Status:

abgeschlossen 10/2018

Zielsetzung:

Die Unfallversicherung Bund und Bahn bietet den „Baustein Schießlärm“ als Excel-Programm an, der eine Gefährdungsbeurteilung und Gehörschutz-Auswahl für Exposition gegenüber Schießlärm nach dem sogenannten "Pfander-Verfahren" ermöglicht. Dieses Programm wurde von der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD 91) der Bundeswehr in Meppen entwickelt und wird von den Polizeien des Bundes und der Länder sowie weiteren Unternehmen (z.B. Betreiber von Schießständen) genutzt. Die Unfallkasse strebt eine Veröffentlichung auf den Internetseiten des IFA an.

Zur Beurteilung von gehörgefährdendem Lärm am Arbeitsplatz ist die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung heranzuziehen. Sie definiert Auslöse- und maximal zulässige Expositionswerte für den Tages-Lärmexpositionspegel und den C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel. Das Pfander-Verfahren hingegen betrachtet als charakterisierende Größen von Impulsschall die sog. Wirkzeit und den unbewerteten (linearen) Spitzenschalldruckpegel. Aus diesen Größen lässt sich der Energieinhalt eines Impulses abschätzen und somit eine tägliche maximal zulässige Schusszahl errechnen. Die Wirkung eines Gehörschützers wird über den sog. Knalldämmwert beschrieben, der nicht identisch ist mit dem M-Wert nach DIN EN ISO 4869-2, der sonst zur Gehörschutzauswahl bei Handfeuerwaffen (HML-Check) herangezogen wird.

Darüber hinaus werden zur Beurteilung von Gehörschäden durch Einzelereignisse noch weitere Größen wie der LAImax (vgl. VDI 2058 Blatt 2) oder der LAE verwendet, die ebenfalls nicht rechnerisch mit den Ergebnissen des Pfander-Verfahrens in Beziehung gesetzt werden können. Bevor eine Umsetzung des "Baustein Schießlärm" auf den Seiten des IFA erfolgen kann, muss zuerst geprüft werden, ob die dort verwendeten Verfahren im Einklang mit der LärmVibrationsArbSchV sind.

Aktivitäten/Methoden:

In einem ersten Schritt wurden im Rahmen von zwei studentischen Praxisprojekten alle relevanten Größen zur Charakterisierung von Impulsen (inkl. Pfander-Verfahren) simultan für verschiedene Waffen ermittelt. Der entsprechende Messaufbau wurde im IFA zusammengestellt und dann im Rahmen einer Bachelorarbeit in einer Raumschießanlage der Bundespolizei in Hangelar exemplarisch an verschiedenen gängigen Waffentypen getestet. Zu Vergleichszwecken führte die WTD 91 ebenfalls entsprechende Messungen nach dem Pfander-Verfahren in derselben Raumschießanlage durch. Im November 2017 fand unter Organisation der UVB eine großangelegte Messkampagne für neue Waffen und Munitionen der Sicherheitskräfte des Bundes und der Länder auf Schießständen der Bundespolizei in Ratzeburg statt. Die Messungen wurden von der WTD 91 nach dem Pfander-Verfahren durchgeführt. Das IFA konnte für 14 Waffen-Munitions-Kombinationen in der dortigen Raumschießanlage und am offenen Schießstand Vergleichswerte mit der WTD 91 aufnehmen.

Mit den so gewonnenen Daten konnten die verschiedenen Beurteilungsverfahren für die Gehörgefährdung (Pfander- und LAE-Verfahren) miteinander verglichen werden. Dazu wurden jeweils die Schusszahlen berechnet, die zu einer gemittelten Lärmbelastung von 85 dB(A) über 8 h führen. Dabei wurde auch die unterschiedliche Berücksichtigung der Gehörschützer-Schalldämmung in die Betrachtungen einbezogen. Es wurde eine Modifikation des Pfander-Verfahrens erarbeitet, die Korrelationen der gemessenen Parameter pro Schuss ausnutzt und dadurch die Unsicherheit der Beurteilung senkt.

Ergebnisse:

Für die Messung und Beurteilung nach dem Pfander-Verfahren und den daraus ermittelten zulässigen Schusszahlen stimmen die Werte des IFA und der WTD 91 für die meisten untersuchten Waffen-Munitionskombinationen weitgehend überein. Die Streuung über die jeweils gemessenen zehn Einzelschüsse ist für die Werte der WTD 91 meist geringer als für die Werte des IFA.

Das Pfander-Verfahren hat eine große, inhärente Messunsicherheit. Eine kritische Größe ist dabei die Wirkzeit, die speziell in Raumschießanlagen sehr stark von Reflexionen beeinflusst wird. Das IFA hat eine Modifikation des Pfander-Verfahrens erarbeitet, die zu niedrigeren Unsicherheiten in der Schusszahl führt (basierend auf dem sog. "Schallwert/S-Wert" pro gemessenem Schuss). Die insgesamt geringsten Unsicherheiten ergeben sich aber für das LAE-Verfahren, das normalerweise im Arbeitsschutz zum Einsatz kommt.

Ein weiterer Unterschied zwischen Pfander- und LAE-Verfahren ist die jeweilige Berücksichtigung des Gehörschutzes. So kommt beim Pfander-Verfahren der "Knalldämmwert" zum Einsatz, der sich aus den Dämmwerten bei 500, 1000 und 2000 Hz ergibt. Beim LAE-Verfahren wird der "M-Wert" (Dämmwert für mittelfrequente Geräusche) verwendet. Diese unterschiedlichen Werte führen zu deutlichen Unterschieden in den resultierenden zulässigen Schusszahlen. Der Knalldämmwert entspricht mit einem Vertrauensniveau von 50 % (d. h. der deklarierte Dämmwert wird nur bei 50 % aller Nutzenden erreicht oder überschritten) nicht dem Standard der sonst im Arbeitsschutz verwendeten Größen, die ein Vertrauensniveau von 84 % haben. Daher verwendet das Pfander-Verfahren zu hohe Dämmwerte und erreicht damit höhere mögliche Schusszahlen. Wenn beide Verfahren mit demselben Dämmwert berechnet werden (M-Wert aus dem LAE-Verfahren), erlaubt das LAE-Verfahren höhere Schusszahlen.

Das LAE-Verfahren entspricht den Vorgaben der Beurteilung von gehörschädigendem Lärm im Arbeitsschutz. Dieses Verfahren wird bereits in verschiedenen Staaten, insbesondere auch vom Militär, eingesetzt. Eine Umstellung vom Pfander-Verfahren auf das LAE-Verfahren ist nicht zeitnah umsetzbar, da für die zahlreichen Waffen-Munitions-Kombinationen im Baustein Schießlärm der UVB (bis auf die Messungen des IFA im Rahmen dieses Projekts) keine LAE-Werte vorliegen. Außerdem liegen beim Pfander-Verfahren auch keine Werte für den C-bewerteten Spitzenschalldruckpegel vor, der nach LärmVibrationsArbSchV ebenfalls beurteilt werden muss. Jedoch liefern die zur Verfügung stehenden Z-bewerteten Spitzenschalldruckpegel eine obere Abschätzung.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der "Baustein Schießlärm" in seiner vorliegenden Form nicht als Software des IFA angeboten werden kann. Eine Änderung im Beurteilungsverfahren des Bausteins, die sich relativ leicht umsetzen ließe, wäre der Übergang vom Knalldämmwert zum M-Wert. Allerdings wäre vorher durch die UVB zu prüfen, ob die dadurch reduzierten Schusszahlen (um ca. einen Faktor 2) mit den in der Praxis auftretenden Expositionen verträglich sind. Mit dieser Anpassung würde der Baustein eine obere Schranke der Exposition liefern. Falls die Rohdaten der Messungen (Druck-Zeit-Verläufe) aus 2017 und ggf. auch noch früherer Messungen bei der WTD 91 noch vorhanden sein sollten, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, aus diesen Rohdaten nachträglich den L_AE und LCpeak zu berechnen. Hierzu müsste jedoch ein Auswerteverfahren für die Rohdaten erarbeitet werden. Zudem ist bis jetzt noch unklar, ob die Rohdaten der WTD 91 tatsächlich noch vorhanden sind, bzw. inwieweit sie dem IFA zur Verfügung gestellt werden können.

Stand:

19.02.2019

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
Branche(n):

Öffentlicher Dienst

Gefährdungsart(en):

Lärm/Vibrationen

Schlagworte:

Lärm

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Schießlärm, Gehörschaden, Gehörschutz

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