Neue Medikamente, Impfstoffe und Therapien

(z. B. Zytostatika, Antibiotika bei Resistenzen, Teilchenbeschleuniger zur Krebstherapie)

Ein Foto einer Person die eine Schutzbrille, einen medizinischen Mundschutz, Haarhaube sowie blaue Schutzhandschuhe trägt. Die Person ist leicht verschwommen, im Fokus ist eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit

Bild: motortion - stock.adobe.com

Die Gesundheitsindustrie (Pharma-, Biotech- und Medizintechnik-Industrie) gehört zu den forschungsaktivsten Industriezweigen und der Bedarf an neuen Wirkstoffen ist hoch. Allerdings dauert die Entwicklung eines neuen Medikaments meist über zehn Jahre und die Zulassungsquote der in Grundlagenforschung und Präklinik untersuchten Substanzen liegt im Promillebereich [1]. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 30 Medikamente mit neuem Wirkstoff eingeführt; deutlich weniger als in den Vorjahren mit 49 bzw. 46. Die meisten Neuzulassungen gab es gegen Krebs (12), gefolgt von immunologischen Erkrankungen (6) und Infektionskrankheiten (4) [2]. Von den neu zugelassenen Wirkstoffen im Jahr 2022 sind 59 % Biopharmazeutika, d. h. gentechnisch hergestellt. Im Folgenden werden wichtige Trends in der Wirkstoffforschung und bei Heilbehandlungen kurz skizziert.

In der Onkologie stellen Immuntherapien einen wichtigen Trend dar [3]. Sie sollen das Immunsystem so weit stärken, dass es aus eigener Kraft Krebszellen zerstören kann, z. B. durch Checkpoint-Inhibitoren, eine Art Antikörper. Diese verhindern die Unterdrückung der Immunantwort und bewirken, dass das Immunsystem den Tumor verstärkt angreift [4]. Bei der CAR-T-Zell-Therapie (CAR = Chimärer Antigen-Rezeptor) werden weiße Blutkörperchen im Labor gentechnologisch so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und gezielt vernichten [5], etwa bei therapieresistenten Leukämie-Erkrankungen [6] oder gegen Metastasen in der Leber [7].

Krebsvakzine sollen eine Immunantwort gegen Tumorantigene hervorrufen. Dafür impft man die Proteine oder Abschnitte der Tumorantigene zusammen mit verstärkenden Substanzen. Bei mRNA (messenger Ribonucleic Acid)-Impfungen verwendet man als Alternative den genetischen Bauplan des Tumors, um den Körper zur Herstellung spezifischer Proteine anzuregen, die eine schützende Immunantwort auslösen. Ein mRNA-Impfstoff gegen Lungenkrebs befindet sich in der Testphase [8], die Zulassung eines weiteren gegen das Hochrisiko-Melanom wird 2025 erwartet [9]. Man hofft, künftig mRNA-Impfungen auch bei Nicht-Krebs-Therapien gegen Autoimmunerkrankungen oder als Impfung gegen das West-Nil-Virus einzusetzen [10].

Ein anderer Ansatz gegen die im Zuge der Klimaveränderungen neu aufkommenden tropischen Krankheiten wie das Zika- oder das West-Nil-Virus basiert ebenfalls auf der RNA-Technologie und setzt schon bei den Überträgern an. Mit der sogenannten RNA-Interferenz (RNAi) kann man die Larven der invasiven Mücken gezielt und umweltverträglich eliminieren. Das molekularbiologische Verfahren schaltet einige der zum Überleben wichtigen Gene der Larven aus [11; 12].

Gentechnisch veränderte Viren können sich in Krebszellen vermehren und zur Auflösung des Tumors führen, vor allem bei immuntherapeutisch resistenten Tumoren. In Deutschland ist bislang nur eine Virotherapie zur Behandlung des fortgeschrittenen inoperablen Melanoms zugelassen, mehr als 200 onkolytische Viren befinden sich in klinischer Entwicklung [13]. Ebenso zeigen neue Medikamente der Klasse der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate Erfolge gegen fortgeschrittenen oder metastasierten Brustkrebs [14] und Leberkrebs [15]. Auch das neue Medikament Lecanemab (Leqembi®) gegen die Alzheimer-Krankheit ist ein therapeutischer Antikörper. Es richtet sich gegen β-Amyloid-Plaques im Gehirn, löst diese auf und verlangsamt den kognitiven Abbau [16].

Forschenden der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist es 2025 gelungen, den in der Natur vorkommenden Wirkstoff Disorazol Z1, der bereits als Antikrebsmittel bekannt ist und untersucht wird, synthetisch nachzubauen. Die chemische Synthese des Naturstoffs stellt einen großen Fortschritt in der Krebsforschung dar. Die Verbindung ist zwar aufgrund ihrer enormen Zytotoxizität nicht selbst als Medikament einsetzbar, das im Labor synthetisierte Disorazol Z1 lässt sich aber im Gegensatz zur aus Bakterien gewonnenen Variante chemisch gezielt modifizieren und so an Antikörper binden. Ob diese künftigen Wirkstoff-Antikörper-Konjugate wirksam sein werden, ist derzeit offen [17].

Die antimikrobielle Resistenz (AMR) von Wirkstoffen gegen Bakterien, Pilze, Parasiten und Viren gehört neben dem Klimawandel zu den größten Bedrohungen für die Gesundheit. Bei immer mehr bakteriellen Infektionen (darunter Lungenentzündung, Tuberkulose, Sepsis und Lebensmittelvergiftungen) versagen sogar Reserveantibiotika. Resistenzen gegen Antibiotika könnten bis 2050 weltweit mehr als 39 Millionen Todesfälle verursachen, bei weiteren 169 Millionen Todesfällen könnten sie eine Rolle spielen [18].

Um die AMR zu bekämpfen, entwickelt man nicht nur immer neue Antibiotika, sondern steuert und nutzt auch die Evolution der Bakterien gezielt aus. Zuerst mit Wirkstoff A behandelt, evolvieren Bakterien eine Resistenz gegen die Substanz und werden dadurch empfindlicher gegenüber Stoff B, den sie im Anschluss verabreicht bekommen (kollaterale Sensitivität) [19]. Potenzielle Möglichkeiten bieten auch Bakteriophagen, d. h. spezielle Viren, die antibiotikaresistente Bakterien infizieren. Die Forschung steht allerdings noch am Anfang und ist aufwendig

Auch bei den Impfstoffen erzielt man Fortschritte: Ein neuer Lebendimpfstoff gegen Denguefieber ist seit Februar 2023 in Deutschland verfügbar [20], seit Ende Juni 2024 ist in der EU ein Impfstoff gegen das Chikungunya-Fieber zugelassen, Impfstoffe gegen das West-Nil-Fieber und das Krim-Kongo-Fieber sind in Arbeit [21]. Ein neuartiger, sicherer Impfstoff gegen COVID-19 soll eine anhaltende Immunantwort über deutlich längere Zeiträume als bisher bieten [22].

Ein wichtiger Fokus der modernen Naturstoffforschung liegt auf Wirkstoffen aus dem Meer, da sich wasserlebende Organismen mit einem umfangreichen Arsenal an biochemischen Substanzen verteidigen, die ein großes Potenzial als Antibiotika, Virostatika oder Antitumormittel bieten [23; 24]. Derzeit testet man z.B. die Antitumorwirkung von Marizomib aus marinen Bakterien gegen das Glioblastom. Aber auch Naturstoffe nicht marinen Ursprungs bieten neue Wirkstoffe gegen Infektionskrankheiten und Krebs. So können etwa Bienengift, Hesperidin und Piperin die Behandlung von Brustkrebs durch Tamoxifen synergistisch verstärken [25].

Die Glykobiotechnologie untersucht die Funktionen von Zuckermolekülen (Glykane oder Polysaccharide) in Lebensvorgängen und eröffnet Möglichkeiten für die Diagnose und Therapie diverser Krankheiten. Glykane finden sich in fast allen Zellen und spielen eine wichtige Rolle u. a. bei der Zellkommunikation, Immunantwort und Gewebeorganisation [26].

Proxidrugs (kurz für proximity-inducing drugs, PiD) gehören zu den vielversprechendsten Wirkstoffklassen. Sie hemmen krankmachende Proteine nicht wie herkömmliche Medikamente, sondern vernichten sie und wirken langfristig, indem sie dafür sorgen, dass krankheitsrelevante Proteine abgebaut werden. Im Fokus stehen Krebs, Infektionen und Alzheimer. Auch hofft man, neue Medikamente gegen multiresistente Bakterien zu finden [27]. Bisherige Studien lassen vermuten, dass sich rund 80 % der schädlichen, krankheitsrelevanten Proteine durch proximitybasierte Arzneimittel zielgerichtet abbauen lassen [28].

Gegen Übergewicht und Adipositas setzt man nun auch die Medikamentenklasse der blutdrucksenkenden Inkretin-Mimetika (GLP-1-Rezeptor-Agonist und GIP-Rezeptor-Agonist) ein, die ursprünglich bei Typ-2-Diabetes verwendet wurden. Die Wirkstoffe Semaglutid und Tirzepatid (Ozempic®, Rybelsus®, Wegovy® bzw. Mounjaro®) wurden auch zur Bekämpfung von Übergewicht zugelassen und sind seit 2023 verfügbar [29; 30]. Ähnliche Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Erprobung [31; 32].

Künstliche Intelligenz (KI) kann alle Phasen die Medikamentenentwicklung deutlich schneller und effizienter gestalten - von der Suche nach potenziellen Wirkstoffen über die Sicherheitsbewertung bis hin zur Durchführung von klinischen Tests [33]. Eine Pilotstudie zeigte das Potenzial von KI bei der Identifizierung antibiotikaresistenter Bakterien. [34]. Ein KI-gestütztes System (DrugCam®) kann die Sicherheit und Genauigkeit von Zytostatika-Herstellungen mittels Videotechnologie verbessern [35]. Auch in der Entwicklung neuer Krebstherapien auf mRNA-Basis wird KI eingesetzt. Die Nutzung von KI in der Pharmaindustrie befindet sich aber noch im Anfangsstadium und ist noch nicht wettbewerbsfähig [36].

Die Zahl der Systeme im Bereich der roboterassistierten Chirurgie ist enorm gestiegen. Roboter werden in einer wachsenden Zahl chirurgischer Fachgebiete eingesetzt, sorgen für eine gesteigerte Präzision, verbessern die Ergebnisse und verkürzen die Erholungszeit der Operierten. KI-gestützte Assistenzsysteme sollen die Qualität operativer Eingriffe weiter erhöhen [37]. Mit dem OP-Roboter Hugo RAS fand 2023 die erste urologische Operation deutschlandweit statt, seit 2024 wird das Robotersystem zusätzlich bei Bauchoperationen genutzt [38]. 2024 wurde sogar die weltweit erste vollständig robotergestützte Doppellungentransplantation durchgeführt [39].

Die Protonentherapie behandelt nicht oder kaum zugängliche Tumoren. Die Energie der im Teilchenbeschleuniger (Zyklotron) auf extreme Geschwindigkeiten gebrachten Protonen wird punktgenau im Tumor freigesetzt, das umliegende Gewebe wird geschont. Ein neues Gerät, das Ganzkörper-Magnetresonanztomographie (MRT) zur Echtzeit-Bildgebung und Protonentherapie verbindet, soll die Genauigkeit der Behandlung von Krebserkrankten verbessern [40]. Auch die interventionelle radiologische Onkologie nutzt bildgebende Verfahren wie CT oder MRT, um während der Behandlung die genaue Lage der Tumore sichtbar zu machen. Zerstört werden diese dann zielgenau mit minimal-invasiven Methoden [41].

Bei der Xenotransplantation greift man auf Tierorgane zurück, um fehlende Spenderorgane zu kompensieren. Erste Versuche mit Schweineherzen und -nieren sind aus medizinischer Sicht erfolgreich verlaufen, doch es besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, etwa bezüglich der Übertragung von Krankheitserregern und der Gefahr einer Rekombination tierischer und menschlicher Viren [42].


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