Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben zum Jahresende 2023 eine Kampagne #GewaltAngehen gegen Gewalt gegen Einsatzkräfte gestartet. Beschäftige verschiedener Rettungsdienste rufen dazu auf, sich gegen Gewalt einzusetzen.
Herr Welz, Sie sind seit vier Jahren ehrenamtlich für das Technische Hilfswerk (THW) im Einsatz. Und engagieren sich nun auch als Fürsprecher der Kampagne. Das THW hilft Menschen in Notsituationen, z.B. wenn Menschenleben bei Flutkatastrophen zu schützen sind. Bürger und Bürgerinnen müssten doch enorm dankbar für diese Hilfe sein. Ist das auch immer so?
In den Einsätzen, bei denen ich als Helfer mit unserer Bergungsgruppe für das THW unterwegs war, habe ich bisher (fast) durchgehend gute Erfahrungen gemacht. Betroffene bedanken sich meist, wenn wir Hilfsmaßnahmen durchführen und das freut uns – Helferinnen und Helfer - immer! Denn neben der ganzen spannenden Technik, die wir in den Einsatz bringen können, ist es mir auch ein zentrales Anliegen, Mitmenschen in Notlagen zu helfen. Etwas "spezieller" wird es manchmal bei den nicht unmittelbar betroffenen Personen. Bei Einsätzen, in denen wir aus Sicherheitsgründen Bereiche wie Fahrbahnen, Rad- und Gehwege absperren müssen, kommt es öfter zu Unverständnis bei den Passanten. Hier ist es manchmal schwierig zu vermitteln, dass eine unmittelbare Gefahr besteht und die Einsatzstelle deswegen nicht durchquert werden kann. Gelegentlich fallen hier böse Worte oder die Absperrungen werden einfach ignoriert.
Was können Sie tun, wenn Menschen in Ausnahmesituationen angespannt sind oder gar aggressiv werden? Sind Sie darauf vorbereitet?
In meiner Grundausbildung war der Umgang mit Aggression noch kein besonderes Thema. In einer Schulung zur PSNV (Psychosozialen Notversorgung) lernten wir, wie belastende Situationen verarbeitet werden und wie wir im Anschluss durch unser Verhalten diesen Selbstheilungseffekt verstärken können – dies hilft aber nur für die Verarbeitung nach einem belastenden Vorfall. Bisher habe ich es immer kommunikativ geschafft, dass keine Situation in z.B. körperliche Gewalt eskaliert ist, vielleicht spielt da auch meine altersbedingte Lebenserfahrung eine Rolle. Für dieses Glück bin ich dankbar, besonders wenn man hört, dass es Fälle gab, in denen sogar Hinterhalte gelegt wurden. Dort hätte Kommunikation definitiv nicht geholfen, und die einzige Option ist es, sich zum Selbstschutz der Situation zu entziehen und die Polizei zum Schutz zu holen. Die regelmäßige Schulung von Techniken für einen deeskalierenden Umgang wären hilfreich und ich denke, dass vielleicht auch die etwas strikten Kommunikationsregeln der Einsatzkräfte angepasst werden sollten. Das Verständnis für eine Gefahrenlage und die dadurch eventuell notwendigen Beschränkungen der Freiheiten Unbeteiligter sind wesentliche Grundlage, um zu einem vernünftigen Umgang miteinander zu kommen.
Was meinen Sie, warum Gewalt zunehmend ein Thema ist? Oder gab es aus Ihrer Erfahrung schon immer Beleidigungen und Beschimpfungen von Einsatzkräften sowie körperliche Angriffe?
Gewalt und Beschimpfungen gegen Einsatzkräfte und in der Gesellschaft allgemein waren und werden immer ein Thema sein. Wir sind nicht alle gleich und es wird immer Menschen geben, die aus den verschiedensten Gründen zu diesem Mittel greifen - es dürfen nur nicht zu viele werden. Auf der positiven Seite sehe ich eine gesteigerte Wahrnehmung des Themas generell. In den Generationen unserer Eltern/ Großeltern war Gewalt – auch in der Familie – relativ normal. Sich über eine Ohrfeige zu beschweren, konnte nur zu weiteren Sanktionen führen, denn "man hatte es schon verdient". Diese "normale" Gewalt wurde einfach toleriert und war nicht im Fokus von Medien und Gesellschaft. Das ist heute vollkommen anders.
Auf der negativen Seite schwindet meiner Wahrnehmung nach der gesellschaftliche Konsens. Es sind diverse Parallelgesellschaften/-gruppen entstanden, die in eigenen Kommunikationsblasen leben, ein Austausch dazwischen findet wenig statt. Sich mit anderen Meinungen auch nur auseinander zu setzen, fällt mangels Übung schwerer, kann Aggressionen und ein „Wir gegen Die“ Gefühl erzeugen. Die in letzter Zeit zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte halte ich für eine direkte Auswirkung dieses gesamtgesellschaftlichen Phänomens.
Niemand sollte durch Gewalt bei der Arbeit verletzt werden. Haben Sie Wünsche an die Politik, die Medien und die Gesellschaft, um dies zu erreichen und die Tätigkeit von Einsatzkräften zu unterstützen?
Ich wünsche mir, dass die Politik ihre Verantwortung für die Verbesserung eines gesellschaftlichen Zusammenhaltes mehr in den Fokus nimmt. Das beginnt bei der schulischen Ausbildung, in der es in unseren Zeiten weniger um eine auf Leistung optimierte Wissensvermittlung gehen sollte, als um die Erschließung, effektive Nutzung und vor allem kritische Diskussion von den Wissensquellen, die uns die technische Entwicklung so freigiebig bietet. Soziale Arbeit sollte Teil der persönlichen Entwicklung im Jugendalter sein und ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass es z.B. kein verpflichtendes soziales Jahr für alle Jugendlichen gibt. Diese neuen Perspektiven zum Umgang mit kranken oder älteren Menschen in einer Gruppe, die mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen gemeinsam an einem Ziel arbeitet, würde vielen jungen Menschen die Möglichkeit geben, die eigene Sozialkompetenz und Toleranz wesentlich zu erweitern. Das Verständnis für die Arbeit von Einsatzkräften mit häufig ähnlichen Aufgabenfeldern, gibt es gratis dazu.
Auch die Medien müssen sich Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, sie sind im digitalen Wandel aber immer noch ein wesentlicher Faktor zu Meinungsbildung in der Gesellschaft. Dazu gehört eine ausgewogene Berichterstattung, die viele Meinungen zu Wort kommen und diskutieren lässt – sofern sie sich im Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen. Sendungen, wie z.B. "Wahre Helden" oder "Feuer und Flamme", dokumentieren die Arbeit von Einsatzkräften und unterstützen eine positive Wahrnehmung der Arbeit von THW oder Feuerwehr.
Die Menschen in unserer Gesellschaft sollten Gewalt generell und speziell gegen Einsatzkräfte ächten und sich mehr trauen, sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten dagegen zu wehren. Niemand soll sich in Gefahr begeben, aber seinen Unwillen kundzutun oder nur Aufmerksamkeit zu signalisieren und „Verbündete“ in der Umgebung zu suchen, kann solche Situationen entschärfen. Aber nicht nur bei Einsatzkräften gilt: "Der Selbstschutz geht immer vor!"
Würden Sie jungen Menschen eine ehrenamtliche Tätigkeit als Einsatzkraft ans Herz legen? Warum oder warum nicht?
Ja unbedingt, diese Arbeit an einem gemeinsamen Ziel in einer Gemeinschaft mit Kameradinnen und Kameraden ist eine prägende Erfahrung, weitet den eigenen Horizont und macht einfach Spaß!
Vielen Dank für Ihr Plädoyer für ein respektvolles Miteinander, Herr Welz!
Auf der Webseite www.gewalt-angehen.de finden alle Interessierten neben den Kampagnen-Plakaten auch zielgruppenorientierte Informationen rund um das Thema Gewaltprävention.