"Gewalt hat viele Gesichter"
Am 5. Dezember startete die Kampagne #GewaltAngehen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und ihrer Träger, der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Wir sprachen mit Hannah Huxholl aus dem Referat Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren über Gewalt am Arbeitsplatz.
Frau Huxholl, mit ihrer Kampagne #GewaltAngehen will die gesetzliche Unfallversicherung dafür sensibilisieren, Gewalt nicht als etwas Alltägliches hinzunehmen. Wo beginnt Gewalt in der Arbeitswelt?
Die Übergänge sind fließend und können in unterschiedlichen Situationen geschehen. Gespräche zum Beispiel können sowohl in verbale als auch körperliche Gewalt eskalieren. Geht es um die Frage, ab wann Vorgänge zu Gewalttaten werden, spielt die Person, welche die Gewalt erlebt, die entscheidende Rolle. Generell gilt: Sobald eine Person geschädigt wird, sprechen wir von Gewalt. Dies ist bewusst weit gefasst, denn Gewalt äußert sich in physischer, psychischer und sexualisierter oder gar wirtschaftlicher Form. Psychische Effekte können sowohl kurzfristig, zum Beispiel als Stress, als auch langfristig beispielsweise in Form von Traumafolgestörungen, Angststörungen oder Depressionen auftreten. Ebenso sind physische Kurzzeit- und Langzeitschäden möglich.
Die DGUV hat ein "Grundverständnis von Gewalt bei der Arbeit / in Bildungseinrichtungen" veröffentlicht. Warum?
Wir müssen uns alle klar sein, worüber wir reden. Denn Gewalt hat viele Gesichter. Deshalb haben wir versucht, in dem Grundverständnis nun die wichtigsten Eckpunkte einzufangen und einen guten Überblick zu geben. Dadurch schaffen wir eine Basis, auf der die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen über das Thema kommunizieren und weitere Maßnahmen ableiten können.
Gibt es darin auch Empfehlungen, was Betriebe und Einrichtungen tun können, um Gewalt zu verhindern?
Ja. Generell ist eine gelebte Präventionskultur in Unternehmen wichtig, zum Beispiel ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander. Das senkt die Hürde für Beschäftigte, ein Gewaltereignis im Betrieb zu melden, denn das Thema Gewalt ist häufig noch sehr schambehaftet und wird nicht selten verschwiegen. Es ist aber wichtig, dass solche Ereignisse den verantwortlichen Akteuren in Sachen Sicherheit und Gesundheit bekannt sind. Nur dann kann die oder der Betroffene eventuell benötigte Hilfe erhalten und es können schließlich Maßnahmen getroffen werden, damit ein solches Ereignis nicht noch einmal eintritt.
Welche Rolle spielt die Gefährdungsbeurteilung bei der Gewaltprävention?
Sie ist tatsächlich äußerst wichtig, damit Unternehmen das Thema systematisch angehen. Dazu muss man sich zunächst damit beschäftigen, wo und in welcher Form Gewalt im eigenen Betrieb vorkommt. Danach gilt es, Maßnahmen präventiv nach dem TOP-Prinzip umzusetzen: technische vor organisatorischen und diese wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass sie viel dafür tun können, damit erst gar nichts passiert. Konkret kann dies zum Beispiel höhere Theken, Schutzscheiben oder die regelmäßige Bargeldabschöpfung an der Supermarktkasse umfassen. Im Zuge der Gefährdungsbeurteilung sollte man zudem für den Ernstfall vorsorgen. Daher sind zum Beispiel übersichtliche Fluchtwege und Büros mit mehreren Ausgängen oder Notfallknöpfe sinnvoll. Als personenbezogene Maßnahmen können Betriebe Schulungen und Unterweisungen für ihre Mitarbeitenden durchführen. Kommt es trotz allem zu Gewaltereignissen, sollte man sich für diesen Fall Nachsorgekonzepte überlegen. Dies können zum Beispiel Notfallkontakte von Beschäftigten und psychosoziale Notfallversorgung sein.
Aktuell hat die Kampagne #GewaltAngehen Rettungs- und Einsatzkräfte im Fokus. Was können Sie diesen empfehlen?
Rettungs- und Einsatzkräfte begegnen anderen Menschen häufig in einer Ausnahmesituation. Das Haus brennt, jemand ist verunfallt oder eine Naturkatastrophe wie eine Überschwemmung hat stattgefunden. Die Betroffenen stehen nicht selten unter Schock, haben Angst, möglicherweise Schmerzen, sind verwirrt, manchmal auch wütend oder traurig. Nicht selten erleben sie eine ganze Bandbreite an Emotionen gleichzeitig. Dann ist die Leitung besonders kurz, weil die Menschen überfordert sind, und es kommt schneller zu Gewalt. Das soll die Gewalt keinesfalls rechtfertigen, denn Gewalt ist nie in Ordnung. Stattdessen soll es erklären, warum das Risiko für Gewalt im Einsatz so hoch ist. Es ist sinnvoll, sich diese Situation bewusst zu machen und deeskalierende Strategien zu erlernen und zu üben.
Trotzdem kann es zu Gewalt kommen – dann ist es sinnvoll, mit der Erfahrung nicht allein zu bleiben. Manchmal reicht dafür schon das Gespräch mit einer Kollegin oder einem Kollegen. Die gesetzliche Unfallversicherung bietet beispielsweise das Psychotherapeutenverfahren nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten an. Wer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zum Beispiel ein Gewaltereignis erlebt hat, bekommt so innerhalb von wenigen Tagen professionelle Unterstützung. Damit soll erreicht werden, dass erst gar keine psychischen Probleme entstehen.
Hintergrund:
Die DGUV veröffentlichte Mitte Dezember die Publikation "Grundverständnis von Gewalt bei der Arbeit / in Bildungseinrichtungen". Erstellt wurde sie vom Sachgebiet "Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt".
Erreichbar ist sie über den folgenden Link: FBGIB-002: Grundverständnis von Gewalt bei der Arbeit / in Bildungseinrichtungen | DGUV Publikationen
Informationen zum Psychotherapeutenverfahren finden Sie hier: DGUV Psychotherapeutenverfahren