"Ich habe früh gelernt, Angriffe nicht persönlich zu nehmen", Kathrin Birkhofer, Krankenschwester.
Die Krankenschwester Kathrin Birkhofer arbeitet seit 2010 im Diakonissenkrankenhaus Dresden, seit 2016 in der dortigen Notaufnahme. Gewalterfahrungen – meist verbaler Natur – gehören zum beruflichen Alltag der 30-Jährigen. Im Interview wirbt sie dafür, Patientinnen und Patienten auch in kritischen Situationen auf Augenhöhe zu begegnen. Ein vom Krankenhaus organisiertes Deeskalationstraining hat ihr Techniken an die Hand gegeben.
Frau Birkhofer, Sie haben 14 Jahre Berufserfahrung als Krankenschwester. Welche Erfahrungen aus dieser Zeit haben dazu geführt, ein Deeskalationstraining absolvieren zu wollen?
Unser Krankenhaus befindet sich in der Dresdner Neustadt, dem Ausgehviertel der Stadt. Viele der Patientinnen und Patienten, die insbesondere am Wochenende zu uns kommen, haben Drogen konsumiert oder sind in einem psychischen Ausnahmezustand. Oft sind sie wütend, von der Situation überfordert. Verbale Attacken gegen uns passieren dabei sehr viel häufiger als körperliche Angriffe. Auch sexualisierte verbale Beleidigungen erleben wir oft – nicht nur die Kolleginnen, sondern auch Kollegen. In meiner Wahrnehmung ist die Hemmschwelle in den vergangenen Jahren gesunken.
Was haben diese Erfahrungen mit Ihnen gemacht?
Ich habe glücklicherweise früh gelernt, diese Angriffe nicht persönlich zu nehmen. Sie treffen mich in dem Moment als Pflegeperson, als Privatmensch fühle ich mich damit nicht gemeint. In besonders kritischen Situationen steht im Vordergrund, den Patientinnen und Patienten Grenzen zu setzen und Schutzmaßnahmen für meine Kolleginnen und Kollegen zu ergreifen. Das beinhaltet beispielsweise, dass wir aus Situationen, die wir allein nicht bewältigen können, rausgehen und die Polizei informieren. Hier geht der Eigenschutz immer vor.
Was haben Sie im Deeskalationstraining hinzugelernt, was Sie vorher noch nicht wussten?
Ich bin ein großer Fan von Kommunikationsstrategien. Deshalb fand ich es gut, dass es im Kurs vornehmlich um verbale Deeskalation und die Prävention von Ausnahmesituationen ging. Mir persönlich hat das Training vor Augen geführt, wie wichtig es ist, Mitgefühl für die Menschen zu haben, die zu uns in die Notaufnahme kommen. Das bedeutet, dass man auch aufgebrachten Personen das Gefühl gibt, dass sie gesehen und verstanden werden, dass man gemeinsam eine Lösung sucht. Der Patientin oder dem Angehörigen die eigene Vorgehensweise zu erklären und zugewandt zu sein, entschärft die meisten Situationen sofort.
Natürlich funktioniert Prävention nicht bei allen Patientinnen und Patienten. Wenn jemand beispielsweise an starker Demenz leidet oder in einer akuten Psychose ist, dann sind diese Menschen oft nicht gut erreichbar.
In diesen Fällen bleibt eine körperliche Deeskalation meist nicht aus. Ging es im Training auch um diese Möglichkeiten?
Nur am Rande. Ich glaube auch, dass Mitarbeitende in der Notaufnahme solche Situationen gar nicht in dem Maße trainieren und so viel Sicherheit gewinnen können, dass sie das Gelernte in kritischen Situationen adäquat anwenden können. Ich befürchte, dass man sich dann in falscher Sicherheit wiegt und im Ernstfall zurückhaltender ist, die Polizei zu informieren. Für mich persönlich stehen die Möglichkeiten verbaler Deeskalation immer im Vordergrund. Wenn eine Situation für mich nicht sicher ist, hole ich mir Hilfe von Menschen, die Experten für solche Situationen sind, also beispielsweise die Polizei.
Mit welchem Gefühl gehen Sie in einen Nachtdienst am Wochenende?
Ich stelle mich von vornherein darauf ein, dass es am Wochenende turbulenter zugehen kann. Bei uns in der Notaufnahme ist es aber auch anders als beispielsweise beim Rettungsdienst. Während dieser oft in unbekanntem Gelände unterwegs ist, kenne ich mich hier in den Räumlichkeiten der Notaufnahme aus, bin mit der Umgebung vertraut und kann mit einer anderen Souveränität arbeiten.
Ist Ihnen eine konkrete Situation in Erinnerung, in der Sie das im Kurs Gelernte abrufen konnten?
Vor einiger Zeit wurde ein Geflüchteter aus einer Erstaufnahmeeinrichtung von der Polizei zu uns gebracht. Er war offensichtlich in einer psychischen Ausnahmesituation und suizidgefährdet. Bei allen Beteiligten hatte sich bereits ein gewisser Druck aufgebaut. Hier hat geholfen, einige Personen aus der Situation rauszunehmen. Im Anschluss haben wir als Pflegepersonen ruhig und auf Augenhöhe mit dem Mann sprechen können. So erst ist es uns gelungen, herauszufinden, worin das Problem besteht und ihn zu beruhigen.
Unterm Strich geht es bei unserer Arbeit in erster Linie darum, den Menschen in seiner Ausnahmesituation zu sehen und anzunehmen. Wir müssen die Patientinnen und Patienten begleiten, Verständnis zeigen, Druck rausnehmen. Neben medizinischen Fragen sind wir auch darin Profis – letztlich dank des Trainings.