Eva Maria Andrades Geschäftsführerin, Antidiskriminierungsverband Deutschland e.V. (advd)

Frau Andrades, als Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverband Deutschland e.V. beschäftigen Sie sich mit Diskriminierung, Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Was bedeutet das genau?

Diskriminierungen und Gewalt am Arbeitsplatz können viele Gesichter haben und sind ein vielschichtiges Thema. Zunächst geht es um bestimmte Erfahrungen, die Menschen am Arbeitsplatz machen und die je nach Verständnis als Diskriminierung, Gewalt und/oder Belästigung verstanden und eingeordnet werden. Das sind schmerzhafte, beängstigende und verunsichernde Erfahrungen, die nicht nur für die betroffene Person negative Konsequenzen haben, sondern auch das Team und die Organisation betreffen. Diese Erfahrungen können daher nicht losgelöst betrachtet werden von dem (Arbeits-)Umfeld und den Rahmenbedingungen. Aus juristischer und fachlicher Sicht gibt es sowohl Überschneidungen als auch Abgrenzungen zwischen den Phänomenen. So wird Diskriminierung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das zentrale Gesetz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und bei Alltagsgeschäften, definiert als Benachteiligung aufgrund eines geschützten Merkmals, die nicht gerechtfertigt werden kann. Belästigung und sexuelle Belästigung sind auch Formen von Diskriminierungen und ebenfalls im AGG als solche definiert. Sexuelle Belästigung ist darüber hinaus auch strafbar, ebenso wie z.B. Körperverletzungen, also Gewalt im engeren Sinne. Letztlich sind Diskriminierungen und Belästigungen gewaltvolle Erfahrungen.

Gibt es aus Ihrer Sicht tatsächlich eine Zunahme von Gewalt bei der Arbeit? Oder ist v.a. die Wahrnehmung heutzutage geschärfter und Vorfälle werden eher gemeldet?

A: Das ist schwer zu sagen. Tatsächlich gibt es ein größeres Bewusstsein und eine gesellschaftliche Beschäftigung mit Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz als noch vor 20 Jahren. U.a. die Einführung des AGGs in 2006 hat sicher dazu beigetragen, denn darin ist auch die Verpflichtung verankert, dass Arbeitgebende alle Mitarbeitende vor Diskriminierung zu schützen haben und geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, wenn Diskriminierung passiert bzw. gemeldet wird. Betroffene haben durch das AGG ein Beschwerderecht und können Entschädigungen einklagen. Leider erleben wir aber sehr oft in der Beratung, dass nur wenige Beschäftigte ihre Rechte kennen. Dazu gehören im AGG im Übrigen auch schon Personen, die sich für eine Stelle bewerben. Und auch Arbeitgebende vernachlässigen den Diskriminierungsschutz noch viel zu oft oder haben keine wirksamen Beschwerdeverfahren.

Hat Gewalt im Job auch Auswirkungen auf den Fachkräftemangel bzw. sind Branchen mit hohen Gewalterfahrungen stärker von Fachkräftemangel betroffen?

Das ist empirisch wahrscheinlich schwer zu fassen, aber der Zusammenhang liegt nahe. Bei einem eher arbeitnehmer*innenfreundlichen Arbeitsmarkt, in dem Menschen sich ein Stück weit die Branche aussuchen können, gerade und vor allem die Bestqualifizierten, suche ich mir eine Stelle, in der ich Anerkennung und Wertschätzung erfahre. Diskriminierung und Gewalt widersprechen dem fundamental. Sie führen zu einem schlechten und ineffektiven Arbeitsklima sowie viel Fluktuation im Personal. Untersuchungen zeigen z.B. ganz konkret, dass Diskriminierungserfahrungen dazu beitragen, dass Fachkräfte Deutschland wieder verlassen.

Was sind "typische" Erlebnisse, die von Betroffenen berichtet werden?

Diskriminierende Fragen in Bewerbungsgesprächen, sexistische, rassistische oder andere diskriminierende Äußerungen von Kolleg*innen, Vorgesetzen oder Kund*innen sind häufige Erfahrungen, die in der Beratung geschildert werden. Aber darüber hinaus geht es oft um Formen von „Mobbing“, die, wenn es einen Bezug zu einem Diskriminierungsmerkmal gibt, dann eben auch juristisch gesehen eine Diskriminierung sind. Direkt oder indirekte Altersbegrenzungen in Stellenausschreibungen kommen immer noch vor. Ablehnungen von Frauen, die ein Kopftuch tragen, oder andere Diskriminierungen aufgrund muslimischer Zugehörigkeit oder auch nur Zuschreibung sind leider auch nicht selten. Ebenso ist Diskriminierung aufgrund einer Schwangerschaft oder Elternzeit oder wegen einer Behinderung nicht selten.

Gibt es Gewalterlebnisse, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Ich selbst habe 10 Jahre lang in der Antidiskriminierungsberatung gearbeitet. Da sind mir einige Fälle in Erinnerung geblieben, die wirklich drastisch sind und kaum zu glauben. In einem Fall wurde ein junger, Schwarzer Auszubildender von seinem Chef jeden Tag mit rassistischen Bezeichnungen begrüßt und angesprochen. Der Auszubildende hatte ihn schon mehrmals gebeten das zu unterlassen und sich auch später an einen weiteren Vorgesetzten damit gewandt. Niemand nahm das ernst. Nach dem Motto “ Das meint er nicht böse, ist doch nur Spaß”. Irgendwann hatte der junge Mann bei der Arbeit einen Nervenzusammenbruch und davor um sich geschlagen. Daraufhin wurde ihm gekündigt. Als er in die Beratung kam, war er gesundheitlich noch sehr belastet. Die Frist zur Geltendmachung der Ansprüche - nach dem AGG lediglich 2 Monate - waren schon verstrichen, so dass er keine Entschädigung wegen Diskriminierung einklagen konnte. Der Arbeitgeber hatte keinerlei Unrechtsbewusstsein und verteidigte nach wie vor seine Entscheidung. Glücklicherweise gab es wenigstens die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens, bei dem wir ihn unterstützen konnten. Im Ergebnis wurde ihm eine Entschädigung gezahlt, ein gutes Zeugnis ausgestellt und dem Arbeitgeber aufgetragen, Fortbildungen durchzuführen und ein Beschwerdemanagement für Diskriminierungsfälle einzuführen.

Wie kann Ihr Verband Beschäftigten konkret helfen?

Der Verband selbst bietet keine Beratung an. Unsere Mitgliedsorganisationen sind Antidiskriminierungsberatungsstellen (ADB), die Betroffene beraten und unterstützen. Diese Form von Fachberatung, gibt es seit ca. 20 Jahren zunehmend in Deutschland. Die Betroffenen werden parteilich beraten im Umgang mit der Diskriminierung, d.h. es ist kein Schlichtungsansatz, sondern es geht darum ihre Interessen und ihr Anliegen zu vertreten. Oft geht es erst einmal ums Zuhören und Verstehen, Einordnen, was passiert ist und was die diskriminierungsbetroffene Person möchte. Dann spielt auch die rechtliche Einordnung eine Rolle. Habe ich Rechte, welche und wie kann ich sie in Anspruch nehmen. ADBs können sich mit Beschwerdeschreiben an den Arbeitgeber oder die Vermieterin wenden. Sie können die Betroffenen dabei unterstützen ihre Ansprüche geltend zu machen und an Anwält*innen vermitteln. Im Klagefall auch als Beistände vor Gericht agieren. In den meisten Fällen kommt es nicht so weit, sondern es geht eher um außergerichtliche Lösungen wie Vermittlungsgespräche zu begleiten.

Machen Klagen überhaupt Sinn oder werden sie nicht mangels Beweise oder wegen Geringfügigkeit häufig eingestellt?

Klagen machen manchmal durchaus Sinn, oft aber auch nicht. Das sind individuelle Einzelfallentscheidungen. Wenn ich bei der Bewerbung für eine Stelle oder Wohnung aus diskriminierenden Gründen ausgesiebt werde, kann ich auf Entschädigung klagen, nicht aber die Wohnung oder die Arbeitsstelle selbst. Will ich meine Zeit, meine Energie, meine Nerven wirklich dafür verbrauchen oder nicht doch lieber in die weitere Jobsuche stecken? Oder will ich die sexuelle Belästigung ansprechen und mich beschweren, geschweige denn deswegen klagen, wenn ich eh keine Hoffnung habe, dass mir geglaubt wird? Ja, Diskriminierung ist in sehr vielen Fällen nur schwer oder gar nicht nachweisbar, das ist ein zentrales Problem. Auch die Beweiserleichterung, die das AGG vorsieht, hilft nur bedingt. Aber es gibt Fälle, in denen es möglich ist und Betroffene ihre Rechte nutzen wollen. Meistens geht es dabei gar nicht um die Entschädigungszahlung, sondern aus der Motivation heraus, dass das erlebte Unrecht nicht ungeahndet bleiben darf und auch nicht anderen so widerfahren soll.

Was sollten Politik und Justiz tun, um Gewalt gegenüber Beschäftigten noch besser zu verhindern und wie könnten sie betroffene Menschen unterstützen?

Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa und trotzdem bleibt der von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Fortschritt bei der Reform des AGG aus. Eine Reform des Gesetzes ist aber zentral, da es zu viele Schutzlücken und Hürden bei der Rechtsdurchsetzung aufweist. Daneben muss die Beratungslandschaft in Deutschland flächendeckend seitens des Bundes und der Länder ausgebaut werden, denn Betroffene wissen oft um ihre Rechte nicht und brauchen vertrauliche Anlaufstellen, um sich im Diskriminierungsfall beraten und begleiten zu lassen. Es ist hier auch wichtig zu betonen, dass es insgesamt eine proaktive Antidiskriminierungspolitik braucht. Gesetze allein reichen nicht, um Diskriminierung zu verhindern. Es braucht mehr gelebte Antidiskriminierung in Deutschland in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu gehört auch mehr Forschung und Statistiken zum Thema. Antidiskriminierung stärkt nachweislich auch die Wirtschaft und Unternehmen, da Arbeitskräfte besser eingesetzt werden und es weniger personelle Fluktuation gibt. Eine starke Antidiskriminierungspolitik in Unternehmen erzeugt motiviertere Mitarbeiter*innen, da Karriereoptionen besser gestaltet werden und ein höheres Gerechtigkeitsempfinden im Unternehmen herrscht. Das Bekenntnis zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz ist aber auch ein gesellschaftliches Signal, das internationale Resonanz erzeugt. Es vermittelt die Zuversicht, dass wir uns den Barrieren und Ungleichbehandlungen in unserem Land bewusst sind und durch umfassenden effektiven Rechtsschutz und politische Maßnahmen konsequent dagegen angehen werden. Gelebte Antidiskriminierung heißt auch, dass es hier nicht allein um bessere Klagemöglichkeiten für Betroffene geht, sondern mehr und gut zugängliche Möglichkeiten für außergerichtliche Lösungsmöglichkeiten ausgebaut sowie Räume für Sensibilisierung aber auch Empowerment für Beschäftigte inklusive Führungskräfte verbindlich in den Arbeitsalltag eingebunden werden.

Was sind Ihre persönlichen Wünsche in Bezug auf das Thema? Haben Sie Ideen wie die Gesellschaft und die Arbeitswelt gewaltfrei werden kann?

Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein sind Menschen der Überzeugung, dass sie bestimmte Gruppen diskriminieren, ihnen ihr Existenzrecht absprechen dürfen. Dies widerspricht demokratischen Grundprinzipien und dem Grundrecht auf Nicht-Diskriminierung. Die Politik muss jetzt endlich ein Zeichen setzen und die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) angehen und konsequent gegen jede Form von Diskriminierung und Gewalt vorgehen. In der Arbeitswelt könnte das auch konkret bedeuten, dass nachhaltige Förderung von Diversität und Chancengleichheit nicht ohne eine proaktive Antidiskriminierungspolitik zu denken ist. Ein effektives AGG und eine proaktive Antidiskriminierungspolitik ermöglichen mehr Partizipation und Fairness in der Gesellschaft und somit auch in der Arbeitswelt.

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