IPA Journal 01/2024

Luftnot am Arbeitsplatz in der Fleischverarbeitung

Der Pricktest dient dem Nachweis allergischer Sofortreaktionen.

Fallbericht aus der arbeitsmedizinisch-HNO-ärztlichen Begutachtungspraxis

Die berufliche Exposition gegenüber Allergenen kann zu einer allergisch bedingten Erkrankung der Atemwege führen. Oftmals ist es jedoch schwierig, das auslösende Allergen zu identifizieren. Dies benötigt differenzierte, medizinische und allergologische Expertise. Bei dem beschriebenen Fall handelt es sich um einen Versicherten, der in einem fleischverarbeitenden Betrieb tätig war.

Berufsbedingte Allergien
Die berufliche Exposition gegenüber potenziellen Allergenen kann zu einer Sensibilisierung und zur Entwicklung einer allergisch bedingten Erkrankung der Atemwege führen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das sogenannte „Bäckerasthma“. Dieses entwickelt sich bei Beschäftigten in Bäckereien aufgrund einer allergischen Typ-I-Sensibilisierung gegenüber Mehlstäuben oder Zusatzstoffen wie Backenzymen. Allergisch bedingte Atemwegserkrankungen können unter der BK-Nr. 4301 „Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung (einschließlich Rhinopathie)“ als Berufskrankheit anerkannt werden. In vielen Fällen ist es im beruflichen Kontext aber nicht einfach, das ursächliche Allergen zu identifizieren. Das gilt vor allem dann, wenn am Arbeitsplatz Einwirkungen von verschiedenen potenziellen Allergenen oder anderweitigen atemwegswirksamen Gefahrstoffen bestehen. In solchen Fällen können neben dem Sensibilisierungsnachweis arbeitsplatzbezogene Expositionstests entscheidende Informationen liefern.

Bei Nachweis einer berufsbedingten Allergie kann der Kontakt mit dem Allergen oftmals nur durch einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder durch die Aufgabe der Tätigkeit vermieden werden. Wird der Beruf weiter ausgeübt, sollten alle erforderlichen Maßnahmen der Individualprävention ausgeschöpft werden. Hierzu sollte nach dem STOP-Prinzip (Substition, technische und organisatorische Maßnahmen, persönliche Schutzausrüstung) verfahren werden. Primär sollte geprüft werden, ob das ursächliche Allergen aus dem Arbeitsumfeld entfernt, oder durch ein anderes Produkt ersetzt werden kann. Bei vielen Arbeitsprozessen ist dies jedoch nicht möglich. Zu den technischen Maßnahmen gehören zum Beispiel Einhausungen und Absaugungen. Organisatorisch kann der Kontakt zum Allergen unter anderem durch Änderungen der Schichtpläne vermieden werden. Erweisen sich diese Maßnahmen als nicht ausreichend oder nicht umsetzbar, sollte in der letzten Stufe der zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen der Einsatz einer persönlichen Schutzausrüstung, zum Beispiel einer Atemschutz-Maske oder eines belüfteten Leichthelms geprüft werden.

Fallstricke beim Nachweis beruflich verursachter Allergien
Grundlage für eine differenzierte gutachterliche Bewertung arbeitsplatzbezogener Beschwerden sind im Einzelfall die Ermittlungen des zuständigen Unfallversicherungsträgers zu Gefahrstoffbelastungen am Arbeitsplatz, eine umfassende ärztliche (Arbeits-)Anamnese sowie eine qualitätsgesicherte interdisziplinäre Diagnostik aus den Bereichen Arbeitsmedizin, Allergologie, HNO und Pneumologie. Idealerweise ist die Unterstützung durch ein qualifiziertes, allergologisch/immunologisches Zentrum vorhanden.

Beschäftigter mit allergischen Beschwerden
Im IPA stellte sich ein 59-jähriger Versicherter vor, der seit fünf Jahren unter Luftnot und Husten am Arbeitsplatz litt. An arbeitsfreien Tagen sowie im Urlaub war er stets beschwerdefrei. Aufgrund zunehmender arbeitsplatzbezogener Beschwerden war er seit etwa einem Jahr arbeitsunfähig. Symptome bestanden seitdem nicht mehr. Der Versicherte arbeitete bereits seit über 20 Jahren in einem fleischverarbeitenden Betrieb als Ausbeiner. Hierbei wird das Fleisch vom Knochen des Schlachttieres gelöst. Rhinokonjunktivitische Beschwerden im Sinne einer allergischen Entzündung der Nasenschleimhaut in Verbindung mit einer allergisch bedingten Erkrankung der Bindehaut und der Augenlider bestanden nicht.

Vor dieser Tätigkeit war der Versicherte in einer Backstube als Bäckergehilfe tätig. Bei allergischen Beschwerden der Nase während der Arbeit wurde eine BK-Nr. 4301 bei Sensibilisierung gegenüber Mehlstaub, ohne eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei normwertiger Lungenfunktion, anerkannt. Der Versicherte schulte daraufhin um und arbeitete seitdem als Ausbeiner in dem oben genannten Betrieb, der Fleisch für Kebab verarbeitet.

Zum Zeitpunkt des Berufswechsels Anfang der 2000er Jahre lag keine obstruktive Atemwegserkrankung vor. Seit dieser Zeit ist der Versicherte auch Nichtraucher. Seine Rauchdosis wurde auf 18 pack years geschätzt. Dies entspricht einem Konsum von 20 Zigaretten pro Tag 18 Jahre lang.

Die präventionsdienstlichen Ermittlungen ergaben, dass es im Nebenraum der Schlachthalle durch das Ansetzen einer pulverförmigen Döner-Gewürzmischung mit Wasser zur Staubbildung kam. Da die Tür zum Nebenraum mehrfach am Tag geöffnet wurde, war der Versicherte der Gewürzmischung in geringem Maße inhalativ ausgesetzt.

Im Rahmen der Anamnese bestätigte der Versicherte, dass er nur an Tagen unter Atemwegsbeschwerden litt, an denen die Gewürzmischung angesetzt und verarbeitet wurde.

Untersuchungen im IPA
Lungenfunktionsanalytisch bestand bei der Erstvorstellung im IPA eine beginnende obstruktive Ventilationsstörung ohne bronchiale Hyperreagibilität. Der Versicherte nahm zuvor keine antiobstruktive Medikation ein. Die HNO-ärztliche Untersuchung war unauffällig. Im Prick-Test der Haut und im Blutserum war eine IgE-Sensibilisierung gegenüber Aspergillus fumigatus nachweisbar. Weitere Sensibilisierungen, auch gegenüber Umweltallergenen, lagen nicht vor.

Im Kompetenz-Zentrum Allergologie/Immunologie des IPA wurde aus der Gewürzmischung eine Pricktest-Lösung hergestellt. Da es sich nicht um eine standardisierte Pricktest-Lösung handelte, wurden zunächst drei freiwillige Testpersonen, eine ohne und zwei mit bekannten Allergien, mit der Dönergewürz-Pricktest-Lösung und in einem Prick-to-Prick-Test (→ Info-Kasten) unter ärztlicher Aufsicht getestet. So sollte eine mögliche, unspezifische Reizung durch enthaltenes Capsaicin ausgeschlossen werden. Bei den Probanden kam es zu keiner Hautreaktion. Der Versicherte reagierte allerdings sowohl im Prick-Test als auch im Prick-to-Prick-Test mit dem Dönergewürz positiv. Durch eine entsprechende Qualitätssicherung konnte eine unspezifische Reaktion auf Capsaicin als unwahrscheinlich angesehen werden. Serologisch wurde keine erhöhte IgE-Konzentration gegenüber dem Dönergewürz gemessen.

Anhand der Zutatenliste der verwendeten Dönergewürzmischung konnten die Bestandteile der Gewürzmischung isoliert serologisch-allergologisch getestet werden. Hier zeigten sich keine positiven Reaktionen auf die getesteten Substanzen. Mögliche Kreuzallergien konnten ausgeschlossen werden. Da der Versicherte gegenüber Aspergillus fumigatus sensibilisiert war, wurde das Dönergewürz mittels eines antikörperbasierten Tests auf eine Verunreinigung mit Aspergillus fumigatus untersucht. Diese Untersuchung war negativ.

Bronchiale Provokation
Um eine IgE-vermittelte Allergie zu bestätigen, wurde ein vierstufiger bronchialer Provokationstest durchgeführt. Dieser erfolgte mit dialysiertem, konzentriertem Dönergewürz-Extrakt, der in der höchsten Konzentrationsstufe mit 500 μg Protein/ml eingesetzt wurde. Dieser Extrakt wurde im Kompetenz-Zentrum Allergologie/Immunologie hergestellt. Bei der bronchialen Provokation kam es zu keiner positiven Reaktion. Auch die Sputum- und FeNO-Diagnostik, die vor und nach der bronchialen Provokation erfolgten, ergaben keinen signifikanten Befund.

Im Methacholintest, 24 Stunden nach der Provokation, zeigte sich jedoch eine gesteigerte bronchiale Hyperreagibilität.

Handelt es sich um eine Berufskrankheit?
Der frühere Nikotinkonsum des Versicherten stellt prinzipiell eine konkurrierende Ursache für die Entstehung einer obstruktiven Atemwegserkrankung dar. Die nachgewiesene Sensibilisierung gegenüber dem Dönergewürz und die gesteigerte bronchiale Hyperreagibilität nach dem bronchialen Provokationstest mit der Gewürzmischung machen aber auch aufgrund der typischen arbeitsplatz-bezogenen Beschwerden und der langjährigen Nikotin-Karenz zum Untersuchungszeitpunkt eine beruflich bedingte allergische Ursache für die nachgewiesene Atemwegserkrankung überwiegend wahrscheinlich.

Zusammenfassend sahen wir die aktuell nachgewiesene obstruktive Atemwegserkrankung und Sensibilisierung gegenüber dem verwendeten Dönergewürz als berufsbedingt im Sinne der BK-Nr. 4301 an. Aufgrund der gesteigerten bronchialen Hyperreagibilität und der beginnenden obstruktiven Atemwegserkrankung wurde eine MdE von 20 % empfohlen.

Fazit
Erst durch die umfangreichen allergologischen Spezialuntersuchungen konnte eine beruflich bedingte allergische Ursache der Atemwegserkrankung nachgewiesen und das Vorliegen einer BK-Nr. 4301 wahrscheinlich gemacht werden. Dies zeigt die Bedeutung eines interdisziplinären Vorgehens bei der Diagnostik von allergischen Erkrankungen der unteren Atemwege.


Kurz gefasst

Bei Berufskrankheitenfeststellungsverfahren zur BK-Nr. 4301 stellt sich häufig die Frage nach dem auslösenden beruflichen Allergen.

Das IPA verfügt über die Expertise, für seltene Berufsallergene qualitätsgesicherte Allergietestungen durchzuführen.

Bei der Begutachtung ist oftmals ein interdisziplinäres Vorgehen in der Diagnostik erforderlich.

Info

Das STOP-Prinzip
Einteilung von Schutzmaßnahmen in verschiedene Gruppen. STOP – gibt gleichzeitig auch die Rangfolge an, nach der die Maßnahmen zu ergreifen sind. Betriebe sind dabei verpflichtet zu begründen, warum sie welche Maßnahmen ergriffen haben.

S steht für Substitution. Prüfung, ob gefährdende Stoffe durch weniger kritische Substanzen ersetzt werden können.

T wie technische Schutzmaßnahmen: Zum Beispiel durch Kapselung von Maschinen, Lüftung, Absaugung.

O wie organisatorische Maßnahmen: Unterweisungen, Hautschutzpläne, Schichtplanumstellung

P wie Persönliche Schutzausrüstung: Schutzkleidung, Schutzbrillen, Fremdbelüftete Helme etc.

Info

Prick-to-Prick-Test
Der Prick-to-Prick-Test ist eine Variante des Prick-Tests. So können Allergene getestet werden, für die keine standardisierten Test-Extrakte verfügbar sind. Hierbei wird mit einer Lanzette in das zu testende Allergen gestochen und anschließend leicht in die Haut. Durch diese kleine Verletzung kann eine allergische Hautreaktion in Form einer Rötung oder Quaddel entstehen. Der Test wird nach 15 bis 20 Minuten abgelesen.

Autoren

Dr. Kerstin Belting
Dr. Christian Eisenhawer
Dr. Sabine Kespohl
IPA

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