Schutzeinrichtungen mit 3D-Schutzräumen an Maschinen: Überprüfung von Sicherheitsabständen mit VR-Methoden

Projekt-Nr. IFA 5116

Status:

abgeschlossen 06/2012

Zielsetzung:

Durch einen ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen einem Bediener und Gefahrstellen an Maschinen werden Gefährdungen vermieden. Berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (BWS) erfassen die Position des Menschen und stellen damit sicher, dass bei Unterschreitung des Sicherheitsabstands rechtzeitig vor Erreichen der Gefahrenstelle durch den Menschen der Gefahr bringende Zustand aufgehoben ist. Sicherheitsabstände sind seit mehreren Jahren in der B-Norm DIN EN ISO 13855 "Sicherheit von Maschinen - Anordnung von Schutzeinrichtungen im Hinblick auf Annäherungsgeschwindigkeiten von Körperteilen" festgelegt und sind abhängig von der Annäherungsart, Größe und Ausprägung der Schutzeinrichtung. Die normativen Festlegungen wurden für BWS mit zweidimensionalem (2D-)Schutzfeld getroffen, z. B. Lichtvorhänge, Lichtschranken, Laserscanner oder 2D-Kamerasysteme. Seit wenigen Jahren sind allerdings Kamerasysteme mit dreidimensionalem (3D-)Schutzraum für Sicherheitsanwendungen verfügbar, die eine höhere Flexibilität bei der Konfiguration von Schutzräumen bieten. Sie unterscheiden sich von BWS mit 2D-Schutzfeld neben der Geometrie auch dadurch, dass sie nicht im Arbeitsraum präsent sind, sondern z. B. an der Decke montiert werden und den Arbeitsraum von oben überwachen. Die aktiven Schutzräume sind dem Werker dadurch weniger bewusst. Das Projekt soll mit Methoden der Virtuellen Realität (VR) untersuchen, ob die Anwendung der für 2D-Schutzfelder gedachten Sicherheitsabstände auf BWS mit 3D-Schutzraum angemessen ist. Ziel ist es, ein Konzept der Sicherheitsabstände für BWS mit 3D-Schutzräumen zu entwickeln.

Aktivitäten/Methoden:

Zu Beginn wurde recherchiert, dass es jenseits der normativen Festlegungen kaum andere Untersuchungen mit praktischer Relevanz zum Thema gibt. Hieraus ergaben sich keine zusätzlichen Fragestellungen. Im Projekt wurde eine BWS mit 3D-Schutzraum simuliert. Die relevanten Parameter wie Ortsauflösung und Reaktionszeit wurden dabei idealisiert, um die Bewegungen des Kopfes und beider Hände verfolgen zu können und den begrenzten Platz im VR-Labor optimal auszunutzen. Die idealisierte BWS spiegelt einen marktüblichen Status in schätzungsweise fünf Jahren wider. Das VR-Labor des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) nutzt ein Tracking-System der Firma Vicon, das die Kopfposition des Beobachters durch aktive Beleuchtung von Markern, die an der 3D-Brille angebracht sind, ermittelt. Dieses vorhandene Tracking-System ließ sich durch Verwendung weiterer Marker sehr gut zur schnellen und präzisen Messung von Positionen und Geschwindigkeiten des Kopfes und beider Hände einsetzen. Die 3D-BWS konnte mit verschiedenen 3D-Schutzräumen virtuell simuliert werden und musste nicht mehr aufwendig real installiert und konfiguriert werden. Die Berechnung der Sicherheitsabstände nach EN ISO 13855 stützt sich auf mehrere Faktoren, die im Kontext der 3D-BWS neu bewertet werden sollen. Der Fokus dieses Projekts lag dabei auf der Messung der Bewegungsgeschwindigkeit des Menschen unter dem Einfluss der geringeren Präsenz der Schutzeinrichtung im Arbeitsraum und der unter Umständen fehlenden Sichtbarkeit des Schutzraumes. Dazu wurde in gemischter Realität ein Montagearbeitsplatz dargestellt, an dem zwanzig Probanden über jeweils zwanzig Arbeitszyklen einen realen Montagerahmen nach einem vorgegebenen Muster bestückten und auf einem realen Drehtisch platzierten. In zeitlich getrennter Kollaboration erfolgte dann eine simulierte Bearbeitung durch einen virtuellen Roboter. Jeder Proband wiederholte diese Untersuchung mit einem an 2D-BWS orientierten quaderförmigen Schutzraum und einem kugelförmigen Schutzraum, der die Vorteile einer 3D-BWS ausnutzt. Der Schutzraum war dabei entweder durch ein vorgelagertes Warnfeld, Klebeband am Boden oder gar nicht markiert. Neben Bewegungsdaten, Schutzraumverletzungen und Leistungsparametern (Schnelligkeit und Korrektheit der Montageaufgabe und der kognitiven Mustererkennungsaufgabe) wurden über Fragebögen das Präsenzempfinden und die mentale Beanspruchung erfasst und analysiert.

Ergebnisse:

Die Probanden verletzen deutlich häufiger den quaderförmigen als den kugelförmigen Schutzraum. Hinsichtlich der Schreitgeschwindigkeit gibt es keine Unterschiede zwischen den Geometrien. Die verschiedenen Markierungsformen der 3D-Schutzräume zeigten Unterschiede in der Anzahl der Schutzraumverletzungen. Aufgrund der großen individuellen Unterschiede zwischen den Probanden können noch keine Aussagen darüber getroffen werden, ob sichtbare Bodenmarkierungen oder ein unsichtbares Warnfeld effektiver ist. Die Probanden bewegen sich durchschnittlich am schnellsten, wenn der Schutzraum am Boden markiert wird. Eine sichtbare Bodenmarkierung erhöht daher möglicherweise das subjektiv wahrgenommene Sicherheitsempfinden. Die gemessenen durchschnittlichen maximalen Schreitgeschwindigkeiten pro Arbeitszyklus liegen leicht unter den derzeit gültigen Vorgaben von 1600 mm/s der DIN EN ISO 13855. Konkrete Empfehlungen für eine Anpassung der normativen Vorgaben für Sicherheitsabstände für 3D-Schutzeinrichtungen können daher aus dem aktuellen Projekt noch nicht abgeleitet werden. Um zu klären, ob die vermehrten Verletzungen des quaderförmigen Schutzraums aus der schlechteren Vorstellbarkeit (kognitive Ursachen) oder schlicht der ungünstigeren Form (ergonomische Ursachen) resultieren, sind vertiefende Untersuchungen notwendig. Wie wirkt sich z. B. eine 3D-Visualisierung der Schutzräume durch eine halbtransparente Darstellung in der VR-Szene aus? Eine Überprüfung der Ergebnisse an einem simulierten realen Arbeitsplatz könnte weitere Hinweise liefern und die Übertragbarkeit in die Praxis unterstützen. Das Präsenzerleben der teilnehmenden Probanden als Indikator für die Qualität der VR-Simulation befindet sich auf einem hohen Niveau und liegt sogar etwas über den Werten, die sich in internationalen Publikationen finden lassen. Die Erledigung der Montageaufgabe und das Eintauchen in die gemischte Realität verursachten keine beeinträchtigenden Symptome der sogenannten Simulatorkrankheit wie bspw. Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindelgefühl.

Stand:

02.05.2016

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft
  • Fachausschuss "Maschinenbau, Hebezeuge, Hütten- und Walzwerksanlagen"
Branche(n):

-branchenübergreifend-

Gefährdungsart(en):

Mechanische Gefährdungen

Schlagworte:

Maschinensicherheit, Mensch-Maschine-Schnittstelle, Technische Schutzmaßnahmen (Expositionsminderung/Sicherheitseinrichtungen)

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Virtuelle Realität, Sicherheitsabstände, berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (BWS), Berührungslos, Schutzeinrichtungen, Maschinen, Gefahrstellen, Schutzfeld, Schutzraum, Kamerasystem, Arbeitsraum, Virtuelle Realität (VR), Tracking, Annäherung, Position, Geschwindigkeit, Auflösung, Bedienbarkeit, Usability, Ergonomie